Nichts zu erwarten, hat man mir einmal gesagt, sei die beste aller
Lebenseinstellungen. Dann könne man nur positiv überrascht
werden. Und was kann man sich wirklich von Prag erwarten? Es ist eine
Stadt aus dem ehemaligen Ostblock. Gut, sie wird die Goldene Stadt
genannt, aber was heißt das schon? Zu westeuropäischen
Städten hat man als West-Geborener immer irgendeinen Bezug. Paris:
kleine Cafes, mit Baguette beladene Franzosen, Eiffelturm. London:
Doppeldeckerbusse, Telefonzellen, Themse. Wien: Stephansdom,
Kärnterstraße, Fiaker. Und so weiter. Aber "da drüben"?
Auch wenn der Vorhang seit mehr als 10 Jahren schon gefallen ist. Einen
wirklichen Bezug zu den Ländern "gleich dahinter" hat man immer noch
nicht aufgebaut.
Dementsprechend un-erwartet dann auch die vielfältige, fast schon meterhohe Auswahl an Stadtführern, die sich im Lieblingsbuchgeschäft finden. Von Einstiegsbüch'ln bis hin zum kunsthistorischen Führer, vom Bar-, Pub- und Restaurantguide bis hin zum "Prag für Eilige". Die Auswahl fällt auf etwas Kleines, Unscheinbares, dessen unkonventioneller und fast schon respektloser, dennoch aber in gewisser Weise liebenswürdiger Schreibstil dann den Ausschlag gibt. Das letzte Mal, daß ich in einem der Ostländer war, ist ungefähr 20 Jahre her. Mein Urgroßvater wollte damals in einen kleinen Ort in Ungarn, in dem er längere Zeit gelebt und gearbeitet hatte. Mittlerweile sollte sich viel geändert haben. Wirklich vergleichen kann ich aber nicht, dafür reicht die Erinnernung nicht wirklich aus. Außerdem kann man sicherlich nicht Ungarn mit der Tschechei vergleichen. Insofern ist es einigermaßen unspektakulär, über die österreichisch-tschechische Grenze zu fahren. Außer, daß die tschechische Grenze erst nach einem ganzen Kitsch-Vergnügungs-Dorf im Niemandsland kommt. Aber das nur nebenbei. Der Abstecher nach Telc macht es dafür möglich, nicht auf der Autobahn festzusitzen auf dem Weg nach Prag, sondern mitten durch die Landschaft zu fahren. Und da treten dann schon die Kontraste auf: Ärmlichste Dörfer, schlechte Straßen. Das Wetter -- grau in grau, kalt und windig -- tut das Seine, um diesen Eindruck zu unterstreichen. Telc selber ist einen Besuch wert. Auch wenn es windig und fast noch frostig ist. Der Arkaden-umgebene Hauptplatz entlohnt dann für die Mühen und die heiße Schokolade in der kleinen Bäckerei am Stadttor wärmt wieder ausreichend auf, um für die Weiterfahrt gerüstet zu sein. Dann tauchen Prager Vororte auf. Trostlose sozialistische Gemeindewohnbauten, im Kleinen allerdings genauso in Wien zu finden, hinterlassen interessanterweise nicht diesen negativen Beigeschmack, den man zu erwarten befürchtet hatte. Vielleicht gibt es doch Erwartungshaltungen. Wie zum Beispiel die Erwartung, daß der Fahrer sich auskennt, wenn er sagt, er kennt sich aus. Tat er auch. Die richtige Abzweigung hat er dennoch verpaßt. Da hilft dann auch der beste Stadtplan nichts. Dann scheint die Sonne. Aber Hotels sind schon recht unpersönlich. Eine Altbauwohnung mit attraktiven Bewohnern dagegen umso weniger. Vorallem, wenn man dort übernachten darf. Da scheint die Sonne gleich noch viel mehr. Es fängt schon mal gut an. Nicht zu vergessen natürlich auch der angeblich beste Kaffee der Stadt im Kava Kava Kava, einem kleine Cafe in einem Innenhof. Natürlich habe ich keine Ahnung, wo wir sind, aber ich bin ja auch erst seit ein paar Minuten in der Stadt. Einen nicht unwesentlichen Wohlfühl-Faktor dürfte dann das Dinner im Eulenlokal spielen. Es heißt U Sovi, aber wer merkt sich das schon am ersten Abend? Absolut empfehlenswert. Mit so einem Empfang wird einem diese Stadt gleich sympathisch. Die Bewohner obiger Wohnung verschleppen mich auch gleich am ersten Abend in einen ausreichend rauchigen Jazzclub. Die Musik ist gut, aber ein wenig zu laut. Die Unterhaltung dementsprechend gedämpft. Das nachfolgende Cocktail dagegen umso entspannender. Der nächste Tag bringt strahlenden Sonnenschein. Direkt in mein Gesicht beim Aufwachen. Geschlafen habe ich sowieso so gut wie schon lange nicht mehr. Es fühlt sich einfach nach Urlaub an und das ist gut so. Fügt man zu dieser Stimmung dann noch ein Frühstück in angenehmer Gesellschaft hinzu, läßt sich ein Lächeln nicht mehr so leicht aus dem Gesicht bekommen. Die Burg Karlstejn steht an diesem Tag auf dem Programm. Offensichtlich macht es sich bezahlt, daß unserer Fahrer schon lange Zeit, bevor er auf seiner Playstation zu spielen begann, Rallyefahren geübt hatte. Die Straßen, die wir erwischen, sind wohl nicht gerade der kürzeste Weg, aber er ist so beschildert. Umso mehr laden sie für unkonventionelle Fahrweise ein, die so früh am Morgen allerdings nicht auf allgemeine Zustimmung stoßen. Der Blick vom Parkplatz in das Tal hinein, an dessen Ende die Burg auf halber Berghöhe thront, entlohnt dafüer die Strapazen. Der Tag wird abgeschlossen mit einem Abend in einem netten Kellerlokal, dessen Name sich mir leider nicht so recht einprägen will. Einprägsamer da schon, neben köstlicher Gesellschaft und unterhaltsamer Verpflegung (oder ist es doch umgekehrt?), der gußeiserne Luster, den ich am Liebsten gleich mitnehmen würde. Geplant ist für den Samstag ein Stadtrundgang mit den beiden Freunden, die mit mir mitgekommen sind, samt dem gesamten Haushalt meiner Unterkunft. Leider wird nicht ganz das daraus, weil eine Verkühlung meiner Freunde mich quasi gestrandet in Prag zurückläßt. Aus irgendeinem Grunde hatte ich aber schon vorher zu Hause Zugverbindungen heraus gesucht, um in solch einem Fall, der mir völlig unwahrscheinlich vorgekommen war, nach Hause zu kommen. Es ist auch nicht wirklich eine Option, aus Prag gleich wieder zu verwschinden, wenn man gerade einmal erst einen Tag da war, und den nicht in der Stadt selber. Also geht es zum Hintereingang der Prager Burg hinauf. Den deutschen Namen Hradschin kennen die Prager selber nicht. Aber sobald man hoch genug hinauf geklettert ist, bietet sich ein genialer Rundblick, oder besser Ausblick, über die Altstadt auf der anderen Seite der Moldau. In der Burg fällt dann gleich einmal auf, daß es eine Stadt in der Stadt ist. Also solche ist sie ja auch genutzt worden. Da gibt es die kleinen, geduckten Häuschen, die sich in die Burgmauer drücken, dann einen Durchgang und man steht auf einem großen Platz. Rechts neben einem die gotische Kathedrale. Komplett mit barockem Turmspitz. Eindrucksvoll dann der große Festsaal, dessen abgenutzter Bretterboden angeblich so stabil gebaut ist, daß darin Wettkämpfe hoch zu Roß stattgefunden haben sollen. In diesem Saal eine nette, kleine Party zu feiern, so mit 200 Gästen, wäre durchaus einmal angebracht. Weiter geht es durch die diversen Kirchen im Burggelände bis hin zur alten romanischen Ausgabe, die eindeutig den wärmsten und gemütlichsten Charakter hat und in ihren dunklen Orange- und Braun-Tönen fast schon nach Wohnzimmer anmutet. Man wird hungrig nach so einem Spaziergang. Hinaus durch den Haupteingang, die protzige Einfahrt auf den Vorplatz vor der Burg, dringt an allen Ecken und Gassen wieder die alte Monarchie durch. Prag ist wirklich, was Wien immer hätte sein wollen. Der Weg zurück in das Stadtzentrum wird Königsweg genannt, ein mehr oder minder geradliniger Marsch von der Burg hinunter, vorbei an alten Gebäuden in Habsburger-Architektur, die heute eine Botschaft nach der anderen beherbergen. Wenn man dort einfach auf den Platz gesetzt wird und sich umschaut, kann das Wien genauso gut sein, oder jede andere Habsburger-Stadt, inklusive Schönnbrunn-Gelb. Aber es paßt. Und wieso sollte es auch nicht? Prag war ja immerhin einmal Hauptstadt der Monarchie. Die aufwendigen Restaurierungen der letzten Jahre taten das ihre, um den Eindruck einer gut gepflegten und gut erhaltenen Stadt zu verstärken. Und dann steht man auf einmal auf der Karlsbrücke. Die überraschend breite Moldau fließt gar nicht so träge unter einem durch, auf der Brücke ein Straßenkünstler nach dem anderen. Die Stimmung an diesem frühsommerlichen herrlichen Sonnentag ist, man möchte sagen, künstlerisch. Unwirklich. Kulissenhaft. Und doch steht man auf der Karlsbrücke und unter einem die Moldau. Hinter sich die Prager Burg, vor sich die Altstadt. Ein interessanter Punkt zum Stehenbleiben und Sein. Doch der Hunger treibt weiter. Nachdem ich mich in der Stadt nicht wirklich auskenne, lasse ich mich einfach mittreiben und dann enden wir auf einmal in einer an sich nicht dazupassenden Gegend. Eine große Straße, lauter Verkehr, das Geruhsame und Malerische der Altstadt wie weggeblasen. Und links ein Glas-Eingang in ein Lokal, das auf den ersten Blick auch nicht sonderlich gemütlich wirkt. Eher eckig. Sitzt man aber erst einmal, hat was zum Trinken in der Hand und schaut sich die Speisekarte an, kommt man wieder einmal drauf, was Prag doch so für Überraschungen zu bieten hat. Diesmal heißt die Überraschung Modra Zahrada und ist ein italienisches Restaurant an der "Grenz"-Straße zwischen Altstadt im Norden und Neustadt im Süden. [Als ich gerade durch die diversen Prague-Guide Seiten im Netz blätterte, entdeckte ich ein Restaurant Sarah Bernhardt, und ein Gargoyle's Restaurant. Ich glaube, ich muß dringend wieder nach Prag.] Überraschenderweise ist das wieder ganz in der Nähe vom Kava Kava Kava. Vielleicht ist die Prager Altstadt doch nicht ganz so un-euklidisch wie die von Bath. Sonntag: ueberraschendes Bleiben, Mucha-Museum, Rathausturm, U Prince Dachterrasse entdeckt, keine Standseilbahn, zu Fusz hinauf, kleiner Eiffelturm, Spiegellabyrinth, unerwartetes Observatorium, Einstein-Haus, PLATSCH Montag: Mucha-Museum, U Prince Dachterrasse, Zug |